KreativWerkstatt

Warum in die Ferne schweifen?!

●  Wir besuchen das ALM

●  Bei Grisu, dem Leguan, und Hanibal, der Schildkröte

●  Quer durchs Land - Diashows ALM, Steinhausen, Reptilienhaus Unteruhldingen, Bad Schussenried, Bauernmuseum Kürnbach

●  Steinhausen und Umgebung 


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Wir besuchen das ALM

Pfahlbau am Bodensee
Pfahlbau am Bodensee

Das ist doch was für das Wochenende, für die ganze Familie samt den acht- und zehnjährigen Enkeln! Ein wirklich lohnender Ausflug ins ARCHÄOLOGISCHE LANDESMUSEUM BADEN-WÜRTTEMBERG in Konstanz. Die Geschichte der Bodensee-Region, eindrücklich und lebendig dargestellt.

Die »Welt der Pfahlbauten« präsentiert sich im modernen Outfit und beleuchtet nach den neuesten Forschungsergebnissen Handelskontakte, Wirtschaftsweisen, Lebensgewohnheiten und Kult in der stein- und bronzezeitlichen Pfahlbauzeit. Der begehbare Nachbau eines Pfahlbauhauses sowie zahlreiche einzigartige Funde, dokumentieren eindrucksvoll die mehr als 3.000-jährige Geschichte der Pfahlbauten in der Bodenseeregion. (Website ALM)

Hinweis: Einfahrt über Spanierstraße und Parken in der Tiefgarage am Benediktinerplatz

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Bei Grisu, dem Leguan, und Hanibal, der Schildkröte

Reptilienhaus Unteruhldingen
Reptilienhaus Unteruhldingen

Nicht jeder, der mal eine Schlange oder Echse - natürlich nur aus sicherer Entfernung - sehen will, muß sich auf die Reise machen. Keine Busfahrt quer durchs endlose Indien, kein tropfender Regenwald am Amazonas, keine sengende Sonne im Death Valley, wo die Klapperschlange fröhlich klappert. Alles im Fall nicht unbedingt erforderlich.

Denn: Es gibt ja das Reptilienhaus in Unteruhldingen. Also praktisch um die Ecke. Gegründet wurde es 1976 von Renate und Peter Kisser als eine im Washingtoner Artenschutzabkommen registrierte und staatlich anerkannte wissenschaftliche Auffang- und Pflegeeinrichtung für ausgesetzte, beschlagnahmte, sowie nicht mehr vermittelbare Reptilien. (Website Reptilienhaus)

Die Fotos unserer Diashow zeigen die Tiere in diesem mit viel Sorgfalt gepflegten Reptilienhaus aus nächster Nähe und erklären ihre Lebensgewohnheiten.

Warum also in die Ferne schweifen und sich im Urwald womöglich noch den Fuß verknacksen oder sogar verlaufen!? Ab nach Uhldingen zu Henry, der Boa, und Hanibal, der 44 Jahre jungen Schildkröte.

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Quer durchs Land

ALM Konstanz
ALM Konstanz
Steinhausen
Steinhausen
Reptilienhaus Unteruhldingen
Reptilienhaus Unteruhldingen
Bad Schussenried
Bad Schussenried
Bauernmuseum Kürnbach
Bauernmuseum Kürnbach

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Steinhausen und Umgebung

Steinhausen, Unserer Lieben Frau
Steinhausen, Unserer Lieben Frau

Nähert man sich dem kleinen Ort Steinhausen (400 Einwohner), so grüßt die wohl „schönste Dorfkirche der Welt“, die Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau, schon von Ferne. Die Brüder Johann Baptist und Dominikus Zimmermann haben dieses Kleinod zu Beginn des 18 Jh für die Reichsabtei Schussenried erbaut und mit wunderbaren Deckenfresken und reichem Stuck ausgestattet - man kennt die beiden auch als Baumeister der Kirche in der Wies in Steingaden.

Die Kirche gilt als:

- Hauptwerk der Wessobrunner Schule

- eines der größten Meisterwerke des frühen Rokoko

- Hauptsehenswürdigekit der Oberschwäbischen Barockstraße und

- Hauptsehenswürdigekit des Oberschwäbischen Jakobsweges.

Sie bezaubert durch wunderbares Licht, eine ebensolche Akustik und einer beeindruckenden Architektur.

„Direkt gegenüber der schönsten Dorfkirche der Welt steht der Landgasthof zur Linde, der im Jahre 1609 vom damaligen Prämonstratenser-Kloster in Bad Schussenried erbaut wurde. Somit zählt heute der Landgasthof zur Linde zu den ältesten Wirtshäusern Oberschwabens und als Meisterwerk des süddeutschen Rokokos. Seit dem Jahr 1889 ist der Landgasthof nun im Familienbesitz der Familie Heinzelmann“, heißt es auf der Homepage oberschwaben-tourismus.de .

Die Linde ist auch beschrieben in: Ebel/Gürtler/ Schmidt 50 historische Wirtshäuser in Oberschwaben und am Bodensee.

Wer sich ein paar Tage im Gasthof Linde gemütlich machen will, den erwarten große, moderne Zimmer mit viel Holz und begehbarer Dusche und Balkon. Zum Dinner begibt man sich, wenn’s wärmer geworden ist, in den Garten, angenehm temperiert durch einen kleinen Teich mit viel Grün, zum Beispiel zu Schweinsbraten mit Semmelknödel oder einem großen Salat mit Mandarinendressing … die Speisekarte variiert, und es gibt auch Themenwochen, wie z.B. „Fischtage“.

Reizvolle Ziele in der Umgebung laden zum Erkunden ein:

1️⃣ Bad Waldsee: Ein Bummel durchs wunderschöne Städtchen mit Stadt- und Schloßsee und einer bezaubernden historischen Altstadt lohnt sich. Viele Cafés laden zum Verweilen und Schauen ein, ein Bummel durch die kleinen Geschäfte ist auch reizvoll.

2️⃣ Bauernhofmuseum Kürnbach: 40 Gebäude aus sechs Jahrhunderten zeigen das bäuerliche Leben der Menschen früher in Oberschwaben. In den Häusern finden sich Ausstellungen zur Alltags- und Kulturgeschichte, was den Rundgang besonders eindrucksvoll macht. Ausführliche Erklärungen für Groß und Klein.

3️⃣ Bad Schussenried: Klosterkirche St. Magnus: Sie gehört zu den größten erhaltenen spätromanischen Kirchen in Oberschwaben. Modernisierung im 15. und 18. Jh. Unter der barocken Verkleidung erkennt man die spätromanischen Pfeilerarkaden.

Und natürlich darf ein Besuch der Schussenrieder Brauerei Ott mit Deutschlands erstem Bierkrugmuseum nicht fehlen! Es gibt eine Brauereigaststätte mit oberschwäbischen Spezialitäten und einem vielfältigen Veranstaltungskalender fürs ganze Jahr! 

4️⃣ Fahrt ins Blaue durch die Region: Zum Beispiel vorbei an der Schussenquelle, dann zum Keltenmuseum in Herbertingen und zur  Heuneburg - Stadt Pyrene, zum Berg Bussen, und zurück durch eine topfebene Landschaft und der nachgebauten Ritterburg in Kanzach.

G.S. 2024

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Marienschlucht schlägt Sterne-Restaurant

in der Marienschlucht 2014
in der Marienschlucht 2014

Bitte denken Sie jetzt nicht, ich würde mit meiner Frau nur in Sterne-Restaurants dinieren. Keinesfalls. Haben wir doch in unserem langen Leben gerade einmal drei bis vier dieser Gourmet-Tempel besucht. Wie aber kommt es jetzt, bei eingestandenem Erfahrungsmangel mit den Sphären einer exquisiten, internationalen Küche, zu einer derart kategorischen Aussage?

Ich will Ihnen den etwas skurrilen Zusammenhang erklären: Nach unserem Motto Das Schöne wartet um die Ecke machten wir uns auf den Weg nach Bodmann, hinein ins Abenteuer. Bitte stellen Sie sich zirka 260 ziemlich schmale Holzstufen vor, die in tausend Windungen in eine enge Schlucht gebaut sind, die schwindelerregend steil bergab führen und eigentlich eher etwas für Bergziegen denn für Oldies wie uns sind. Diesen Abstieg nahmen wir an einem späten Maientag des Jahres 2014 gegen Mittag bei subtropischen Temperaturen mutig in Angriff und kämpften uns bergab, vorbei an den Resten der Ruine Kargegg. Denn wir wollten diese von Sagen umwobene Marienschlucht* kennenlernen, deren Erschließung und Namensgebung von dem Adelsgeschlecht derer von Bodmann Ende des 19. Jahrhunderts auf ihrem Grund und Boden ins Werk gesetzt wurde. Glücklich am Fuße der Stiege angekommen, empfing uns unser Bodensee mit einem kleinen, verträumten Strand, wildem Baumbewuchs und der in den Fels gehauenen Abbildung von Maria mit dem Jesuskind, der Namensgeberin dieser Schlucht.

Hier unten herrschte herrliche Fast-Einsamkeit (also maximal zehn bis fünfzehn Zeitgenossen um uns herum. Das ist an Deutschlands beliebtestem See praktisch Menschenleere). Eine Idylle also! Wir setzten uns in den Sand und genossen diesen herrlichen Platz, den phantastischen Blick hinüber nach Sipplingen, freuten uns an den kreuzenden Segelbooten und den am Strand spielenden Kindern. Dumm nur, daß dem beginnenden Hunger nicht abzuhelfen war. Kein Wanderbrot, keine Banane im Rucksack, nicht mal ein Nußriegel. Nichts! Außer einem halben Liter Mineralwasser, aber der war schnell getrunken.

Gleichviel - die Stufen mußten nun auch in umgekehrter Richtung gemeistert werden, wollten wir hier nicht Wurzeln schlagen. Schnaufend, mit altersbedingten Pausen, Knie- und Kreuzschmerzen, leise fluchend, schleppten wir Oldies uns bergan. Die Wände der Schlucht erdrückten uns an manchen Stellen fast, und immer öfter tauchte vor unserem inneren Auge ein frisch gezapftes, kühles Glas Hefeweizen auf, begleitet von einem großzügig belegten Käsebrot mit würzigem Emmentaler. Kurz und gut: der Rückweg wurde zur Marter!

Im Auto, auf dem Weg nach Immenstaad und mit jetzt bösartig bohrendem Hunger, stellten wir entgeistert fest, daß die wenigen Geschäfte der Gegend es am Samstag mit dem Ladenschluß bitter ernst nahmen. Alles war dicht. Auch der Metzger, den wir ins Visier nahmen, lud er doch gerade einige Kartons in seinen PKW, um ins Wochenende abzudüsen. Wir mußten es einfach versuchen, parkten ordnungswidrig, sprangen aus dem Auto und baten auf freundlichste Art und Weise um zwei LKWs, worunter der Kundige Leberkäswecken versteht. Es könnten natürlich auch Wienerle sein, ein Stück Braten - was auch immer! Der Fleischer ließ sich voller Mitleid mit uns Jammergestalten erweichen, schloß noch einmal sein Geschäft auf und verschwand hinter der Wursttheke. Er öffnete den Kühlschrank, zauberte irgendwoher auch noch zwei Semmeln hervor, schnitt ordentliche Scheiben von diesem wundervollen, zartbraunen, in der Schale krustigen, so überaus kräftig schmeckenden Fleischwerk ab und legte eine Tube scharfen Senf dazu. Wir wären mit fast jedem Preis einverstanden gewesen, doch alles blieb in bescheidenem Rahmen. 

Auf die Bank vor der Metzgerei setzten wir uns, bissen herzhaft und mit unglaublicher Wonne in dieses weltliche Göttergeschenk und winkten dankbar unserem Wohltäter - was sage ich: Sternekoch! - zum Abschied. Wir waren gerettet, zwei Leberkäswecken hatten unsere Welt war wieder ein ganzes Stück weit in Ordnung gebracht und uns ein traumhaftes Mahl beschert.

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*Marienschlucht: Anlass für die touristische Erschließung und die Namengebung war die Verlobung von Maria Gräfin von Walderdorff (1871–1958) mit Othmar (1868–1930), dem Sohn von Johann Franz Freiherr von Bodman im Jahr 1897. (Wiki)

Im Mai 2015 gab es hier einen gewaltigen Erdrutsch mit einem Todesfall, so daß die Schlucht bis heute gesperrt ist. Neueröffnung vermutlich im November 2024.

RS 2024

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Kulinarische Lektüre gefällig?

Frank Ebel, Franziska Gürtler, Bastian Schmidt: 50 historische Wirtshäuser in Oberschwaben und am Bodensee

Auch hier bewahrheitet sich: Warum in die Ferne schweifen … Ein gutes Essen, ein feiner Grauburgunder, und das in historischer Atmosphäre! Wunderbar! Und gerade einmal um die Ecke wie der Grüne Baum in Moos. Ein Wirtshaus mit Kachelofen, schöner Holzvertäfelung und vom Singener Künstler Robert Seyfried herrlich gestalteten Glasfenstern. Der heutige Wirt Hubert Neidhart hat einen ganz besonderen Draht zu einem nicht genannten Bodensee-Fischer. Seine den Gästen liebevoll servierten Spezialitäten - wen wundert’s: Fisch. Weithin berühmt auch seine französische Fischsuppe. Und das Brot bäckt er selbst. Aus Emmer. Und mit Gleichgesinnten hat er einen Förderverein „Höri-Bülle“ gegründet. Man möchte hier gar nicht mehr aufstehen, am Kachelofen. Entschuldigung - man sollte unbedingt weiterlesen. Denn in diesem schönen „Restaurantführer“ sind sie versammelt und werden, gekonnt fotografiert, liebevoll und detailliert vorgestellt wie in unserem Beispiel oben. Unsere Wirtshausperlen, fünfzig an der Zahl, rund um den Bodensee und in Oberschwaben. Von Rielasingen bis Überlingen, von Konstanz über  Wangen und Steinhausen bis Lindau. Lesezeit, die sich unbedingt lohnt. Und danach sollte unbedingt zur Tat geschritten werden.

RS 2024

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Unsere Regio 1

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1953, Berlin (West)
1953, Berlin (West)

Einschulung (1953)

Vieles verändert sich im Laufe der Zeit. Manches bleibt. So auch die Erinnerung an den eigenen Schulbeginn, der wohl für jedes Kind ein besonderes Erlebnis ist. In meiner Geburtsstadt Berlin (West) wartete die sechsjährige Grundschule auf uns. Und es gab nur wenige Möglichkeiten, nach der vierten Klasse in eine Oberschule zu wechseln.

Dieser Schritt ins Leben begann für mich im Alter von gut sechs Jahren. Plötzlich gab es viele neue Gesichter, aus Spielkameraden wurden von einem auf den anderen Tag Klassenkameraden, mit denen man zusammen über Stunden ruhig und ordentlich auf Schulbänken sitzen sollte. Andere Kinder, die man schon sooo lange kannte, waren auf einmal nicht mehr da. Sie gingen in eine andere Grundschule.

Da hieß es plötzlich verzichten auf die weiten Spaziergänge und die Erzähl- und Fragestunden mit meinem Großvater. Wir folgten damals stundenlang dem Lauf des Teltowkanals oder streiften durch den Grunewald bis zur Hundekehle und Saubucht. Die ratternde „Elektrische“ (Straßenbahn) brachte uns für 20 Pfennig dorthin. Oder wir gingen in unseren kleinen Schrebergarten unweit der Wohnung, wo es die Äpfel für den Sommer und die Beeren für die Marmeladen des Winters gab. Für mich ein kleines Paradis.

Doch damit war ganz plötzlich Schluß. Statt der liebgewonnenen Ausflüge gab es für die Wochentage plötzlich ganz neue Regeln und Pflichten. Morgens um sieben wurde gefrühstückt, dann wurde der Schulranzen geschultert, gepackt wurde er grundsätzlich am vorhergehenden Nachmittag. An den Weg in die Grundschule hatte man sich schnell gewöhnt. Und Autos waren selten auf den Straßen der damaligen Zeit, recht kurz nach dem Ende des Krieges. Es ging an Ruinen vorbei, und an der Straßenecke wartete schon der neue Klassenkamerad, dem man immer viel zu erzählen hatte und der auch eine Menge beizutragen wußte.

Meine Einschulung war ein kleines Fest. Es gab eine Schultüte mit Äpfeln, etwas Schokolade, Prickel Pit* und - soweit ich mich erinnere - Fruchtgummi. Meine Mutter begleitete mich, machte ein Foto von dem stolzen Erstklässler, und abends gab es mein Lieblingsessen: Leberwurstbrot und saure Gurken, dazu eine Sinalco. Das war eine kleinere Flasche Limonade mit prickelnder Kohlensäure. Nichts für alle Tage. Aber es war ja ein besonderer Tag!

Auf dem jetzt recht vergilbten Foto meiner ersten Klasse zähle ich 32 Mädels und Jungen, jeweils zu zweit in einer Schulbank sitzend, sorgfältig und einfach gekleidet. Unsere Klassenlehrerin war freundlich und streng zugleich. Sie legte viel Wert auf Disziplin („Hier redet immer nur einer!“). Ferner auf saubere Heftführung und ordentliche, präzise Schrift. Wir übten viel, stellten einander kleine Rechenaufgaben, lernten auswendig. Nicht jeder freute sich, wenn er vor der Klasse vorlesen oder ein kleines Gedicht vortragen sollte. Aber mit der Zeit wich die Angst, und es wuchs das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Wir mußten viel schreiben. Und so füllten sich auch recht schnell unsere Schreibhefte mit den Buchstaben des Alphabets, mit den Namen von Obst und Gemüse und Dingen des täglichen Bedarfs. Anfangs wurde auf Ober- und Unterlängen unserer Schrift genau geachtet. Ja - es gab Zensuren für „Schrift“ und entsprechende Linienhefte. Und der den Bleistift ersetzende Füllfederhalter - ich meine ab Klasse zwei - machte es uns ABC-Schützen nicht leicht. Die Feder mußte eingeschrieben werden. Denn wenn man zu stark drückte, kratzte sie nur so über das Papier. Das sah dann einfach nicht schön aus und man durfte die Aufgaben noch einmal - und zwar „schön“ - abschreiben.

Auch das Rechnen in den Grundrechenarten machte mir damals viel Freude. Das Schulheft hatte ein Karogitter, das Zählen bis hundert ging schnell voran. Zudem ließ mich mein Großvater schon früher bei jeder sich bietenden Gelegenheit addieren und subtrahieren, später dazu teilen und malnehmen. Das war immer eine gewisse Herausforderung. Stolz war man schon, wenn einen die Mutter mit einer Mark zum Milchholen schickte, und das Restgeld auf den Pfennig genau stimmte. Worüber sich Kinder so alles freuen konnten!

Wenn wir Klassenausflüge machten, ging es häufig in den nahegelegenen Stadtpark. Wir lernten, Bäume und Sträucher anhand ihrer Blätter zu bestimmen. Im Herbst sammelten wir die bunte Pracht, und die schönsten wurden zwischen Büchern gepreßt. So ergaben sich auch viele Zeichenvorlagen ganz von selbst. Blätter und Gräser in den schillerndsten Farben schmückten die Wände unseres Klassenzimmers. Spaß hatten wir auch beim Fasching-Feiern, ein in Berlin eher unüblicher Brauch. Cowboy und Indianer waren die beliebtesten Verkleidungen, die einen mit Colt inclusive Zündplätzchen-Ladung, die anderen mit Speer und voller „Kriegsbemalung“. Unser närrisches Treiben endete für mich abrupt nach Klasse vier mit dem Übergang aufs Gymnasium.

Eines sollte noch Erwähnung finden, und zwar das gemeinsame Singen. Musikalische Lehrer sind aus meiner Sicht ein Segen für die Kinder. Viele Lieder, ob „Hänschen klein“, „Mein Hut der hat 3 Ecken“ oder „Das Wandern ist des Müllers Lust“, bleiben für immer in Erinnerung. Und die Freude am Singen und Pfeifen von Melodien begleitet einen das Leben lang.

Knapp zwanzig Jahre später war ich selber Lehrer. Da hatte ich in meiner siebten Hauptschulklasse sogar 36 muntere Schüler. Das war 1972, und in meinem Berliner Bezirk Schöneberg absolut nichts besonderes. Die Klassen quollen über, wir jungen Lehrer verloren schnell so manche Illusion, wozu Volksbildung sinnvoll beitragen könnte. Hinzu kam, daß viele Neuberliner, die meisten von ihnen aus der Türkei, kaum oder gar kein Deutsch sprachen.

Bei einem Resumée im Rückblick auf meine Berliner Berufstätigkeit als Haupt-, Real- und Gesamtschul-Lehrer will ich festhalten, daß der Wert einer guten Grundschulzeit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die ersten Schuljahre prägen. Sie sind von elementarer Bedeutung. Das Lesen, Schreiben und Rechnen, eingefaßt in die Anleitung zu sozialem Handeln, ist der Dreiklang, auf den es ankommt. So simpel es sich anhört, so wichtig ist es - ein ganzes Leben lang.

_RS

* Prickel Pit: Brausebonbons mit Zitronengeschmack, die ein spannendes Kribbeln auf der Zunge erzeugten.

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Luftbrückendenkmal, Berlin Tempelhof
Luftbrückendenkmal, Berlin Tempelhof

Rückblicke (Die Fünfziger Jahre)

Ich spreche von einer Zeit um 1950. Wir Berliner in den Besatzungszonen der Amerikaner, Briten und Franzosen hatten gerade mit Hilfe der Luftbrücke unsere Selbständigkeit bewahrt. Ein knappes Jahr lang wurden wir von den Westalliierten mit Flugzeugen („Rosinenbombern“) versorgt, weil die sowjetische Besatzungsmacht alle Land- und Wasserwege in die Westbezirke blockiert hatte. Doch wir wehrten uns und schafften es in dieser Zeit sogar, das zerstörte Kraftwerk Reuter, für die Westbezirke von zentraler Bedeutung, mit Hilfe der Luftbrücke und deren massiven Ersatzteil-Lieferungen wieder aufzubauen und in Gang zu setzen. Zum Gedenken an diese viele Leben rettende Unterstützung bauten wir den Alliierten am damaligen Flughafen Tempelhof ein Denkmal („Hungerharke“). Dank ihrer Hilfe widerstanden wir dem sowjetischen Druck. So ereignete sich in dieser kargen Nachkriegs- und Aufbauzeit vieles, für das es sich lohnt, Erinnerungen wachzuhalten. Hiervon soll skizzenhaft berichtet werden.

Wir Nachkriegskinder lebten, aus aktueller Sicht, in einer fast vergessenen Welt. Wie käme man auch heute, in der Zeit medialer Springfluten, zu der Vorstellung, ohne Fernseher, Netflix und Handy zu leben? Social Media - unbekannt! Dazu wenig Verkehr auf den Straßen, Urlaubsreisen - wenn überhaupt - mit der Bahn zum Onkel oder zur Tante nach Westfalen, einmal im Jahr. Auf den Wochenmärkten: ein überschaubares, bescheidenes Angebot. Dazu Preise, die zu unbedingter Sparsamkeit anhielten. Supermärkte mit Selbstbedienung waren auch noch nicht zu finden.Unsere Bekleidung: Zwei Paar Schuhe, Wintersachen, Sommersachen, beides doppelt. Mehr gab es nicht. Dazu vielerorts Ruinen rechts und links. Und hoffentlich genug Kohlen über den Winter für die Ofenheizung. Ein bescheidenes Leben.

Wer da 1945 zwischen Ruinen den Bombenhagel überlebte, hatte keine hohen Ansprüche. Man war davongekommen. Das war das größte Glück schlechthin. Jetzt kehrten auch viele Kriegsgefangene in ihre Familien zurück. Mancher suchte seine Angehörigen vergeblich. Im Straßenbild waren verwundete Männer ohne Arm oder Bein, verkrüppelte Menschen keine Seltenheit. Viele ertränkten im Alkohol ihre schrecklichen Kriegserlebnisse. Oder sie bettelten, zogen von Haus zu Haus, bekamen hie und da ein warmes Essen, Bekleidung, manchmal einen Unterschlupf. Wenn der Leierkastenmann auf dem Hinterhof spielte, schickten uns die Eltern mit einem Groschen (zehn Pfennigen) oder ein oder zwei Zigaretten runter, um danke zu sagen.

So war es in der heute fast vergessenen Zeit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, vor bald achtzig Jahren. Zeit zu klagen brachte keinem etwas - es mußte weitergehen. Also krempelte man die Ärmel hoch und räumte auf. Arbeitete hart und lange. Und hatte das große Glück, im demokratischen Teil Berlins zu leben und nicht in der sowjetisch besetzten Zone. Hier führten die Sowjets mit Hilfe der kommunistischen SED ein diktatorisches Regiment.

Für uns Kinder waren diese Zeiten nichts Besonderes. Wir wuchsen auf mit den Möglichkeiten, die unsere Eltern hatten, die unsere Umgebung uns bot. Wir spielten in Ruinen, das waren Orte voller Geheimnisse und Abenteuer. Unsere Schultüte mit Äpfeln und einer Tafel Schokolade präsentierten wir stolz, als es in die erste Klasse ging. Eine Schulspeisung mit Rosinenbrötchen und Kakao half manchem über den Hunger hinweg. Überhaupt: Übergewichtige Klassenkameraden waren höchst selten. Und das wohl nicht nur, weil Lebensmittel knapp und teuer waren, sondern weil man sehr viel zu Fuß gehen mußte. Weite Wege waren völlig normal. Wer hatte schon ein Auto in den fünfziger Jahren? Und Monatskarten für den Omnibus gab es nur in dringenden Fällen. Etwa, wenn die Schule zu weit weg war.

Die bescheidenen Möglichkeiten bedeuteten allerdings nicht, daß wir Kinder keinen Spaß hatten. Das Fernsehen gab es zwar ab 1952, schwarz-weiß natürlich, drei Stunden am Tag. Und so selten wie ein Auto in Familienbesitz war zu dieser Zeit ein Fernseher, den Vater erst zur Fußball-Weltmeisterschaft 1958 kaufen konnte. Bis dahin tat es ein Radio. Die Wirtschafts-Wunderjahre waren eben noch nicht angebrochen. In den Kinderjahren lernten wir mit Hilfe von Eltern und Großeltern schon das Lesen, bevor es in die Schule ging. Bald verschlangen wir richtig dicke Bücher wie zum Beispiel die von Karl May. Und nicht nur den Schatz im Silbersee oder Durchs wilde Kurdistan. Noch dazu war der Autor ein geschätztes Tausch-Objekt. Hochspannung garantierten ferner Robinson Crusoe und Lederstrumpf. Wilhelm Busch mit Max und Moritz fehlte selten in einem Bücherschrank. Und Micky-Maus-Hefte hatten einen ganz besonderen Wert. Man mußte schon eine Reihe der beliebten Glasmurmeln zum Tausch mitbringen, wollte man eines dieser Comic-Heftchen ergattern. Auch Briefmarken und Postkarten sammelten viele meiner Freunde gern. Überhaupt - geschrieben wurde viel. Und bis 1954 klebte auf jedem Brief, den wir von unserer westdeutschen Verwandtschaft erhielten, neben der Briefmarke noch eine zweite. Blau, schmal, „2 Pfg. Notopfer Berlin“.

Kinobesuche waren bei uns eine große Ausnahme. Mit sieben oder acht Jahren durfte man schon mal, meistens sonntags, allein ins Kino gehen. Der Eintritt kostete damals 50 Pfennige, und es gab Das fliegende Klassenzimmer oder Susi und Strolch. Etwas später dann, den Vater begleitend, Die Brücke am Kwai. Eingeleitet von der Wochenschau Erlebt und gesehen mit Blick in die Welt. Die große Weltpolitik in fünfzehn Minuten. Und dazu Werbung. Äußerst beliebt bei Alt und Jung war Bruno, das HB-Männchen mit seiner zitierfähigen Erkenntnis „Warum denn gleich an die Decke gehen, greife lieber zur …“. Wir liebten diese Highlights und konnten im Nu den River-Kwai-Marsch pfeifen. Praktisch jeder konnte das. Der Film lief ja schließlich - gefühlt - drei Jahre. Wie übrigens auch der prächtige dreieinhalbstündige Sandalenfilm Ben Hur mit seinem selbst für heutige Verhältnisse unglaublichen Wagenrennen. Exakt zwanzig Minuten dauerte das Spektakel! Es gab, verglichen mit heute, sehr wenige Kinofilme. Aber wenn sie sich durchsetzten, pilgerte ganz Berlin dorthin, sie liefen Jahre und waren Stadtgespräch. 

Berlin-West war wie eine Insel im „roten“ Meer. Wollte man Verwandtschaft in der jungen Bundesrepublik besuchen, begab man sich grundsätzlich auf Reisen. Mit allem, was dazugehörte. An Sonntagsausflüge, sagen wir mal: von München aus mit dem Zug des Morgens in die Berge und des Abends zurück nach Hause - daran war nicht zu denken. Wir „Insulaner“ mußten mit dem auskommen, was sich in den Grenzen unserer geteilten Stadt anbot. Das war nicht gerade wenig. Es gab viele Parks, dichte Wälder, mehr als ein Dutzend Seen. Den Wannsee, den Grunewald, die Saubucht und den Teufelsberg, die Havel und die Spree. Berliner liebten es, „in’t Jrüne“ zu fahren, den Schlachtensee zu umrunden, um dann die beliebte „Molle zu zischen“. Ganze Familien waren da unterwegs, kleine Völkerwanderungen „mit Kind und Kegel“. Unsere Einwohnerzahlen lagen bei etwa zwei Millionen, von denen an Sommertagen Hunderttausende die Seen umlagerten, sich zum Familienspaziergang oder im Strandbad Wannsee trafen.

Nur gut bei diesem Gedränge in der Halbstadt, daß wir in fast allen Bezirken Laubenkolonien hatten. Hierhin zog es uns, hier wuchsen Äpfel und Birnen, Rhabarber und Erdbeeren; hier konnte man den ganzen Sonntag verbringen, Würste grillen, ein Sonnenbad nehmen, Federball spielen. Und im übrigen brachten uns eingewecktes Obst und Marmelade aus eigenem Garten gut über den Winter. Wir liebten sie, unsere Oasen.

Das war es im großen und ganzen: eine kleine Nachkriegsgeschichte aus einer analogen Welt, im Wiederaufbau begriffen und von Akteuren besiedelt, die strikt widersprechen, sich je gelangweilt zu haben. 

_RS 2023

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