Sprechen wir!
Nachrichten aus der alten Welt
Die Erfahrung lehrt: Je kleiner die Population eines menschlichen Biotops ist, umso mehr blühen Klatsch und Tratsch. Nach den neuesten Erkenntnissen der modernen Soziologie sind Klatsch und Tratsch aber eine durchaus sinnvolle Methode der Anteilnahme! Vermutlich hätten unsere Vorfahren in den Steinzeithöhlen ohne diese Art der mündlichen Kommunikation keine sozialen Bindungen entwickelt oder eine allgemeingültige Ethik entwickeln können, die das Überleben der Sippe garantierte.
Nun leben wir heute nicht mehr in Höhlen und eine allgemeingültige Ethik ist manchmal einer Art „anything goes“ gewichen, zumindest machen sich hie und da gewisse Erosionen bemerkbar. Dennoch lieben manche Zeitgenossen den Tratsch - vornehmlich über Leute, die jeder kennt, die aber das Pech haben, an diesem Kaffeeklatsch, an diesem Stammtischabend justament nicht dabei zu sein. Keine Angst: Sollten Sie zu denen gehören, die eigentlich keinen Stoff für Tratsch bieten - man wird etwas finden! Garantiert!
Gekonntes Tratschen setzt voraus, daß man die Schwachstellen seiner Mitmenschen erkennt und die kleinen, ein wenig gehässigen Bemerkungen sorgfältig kaschiert: So kommt Tratschen als Interesse am andern, Sorge, Mitleid, Bereitschaft zum Helfen, Anteilnahme und Mitgefühl daher. Am besten eignet sich traute Zweisamkeit zum Tratschen: Da kann man dann ganz ohne Mithörer die gepflegte Einschätzung seiner Zielperson zur Kenntnis geben. In einer Gruppe achte man darauf, jedem recht zu geben. Aber Achtung: Das kann zu Haslwirbelverrenkungen und Zerrungen im oberen Schultergelenk führen. Denn man ist ja gezwungen, mehrmals die Meinung zu ändern. Frei nach Stanislaw Lem: „ Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann.“ Die Therapie zahlt dann die Krankenkasse - und beim Physiotherapeuten kann man gut weitertratschen.
G.S.2025
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Eine unerwartete Beichte
Auch Pfarrer haben Urlaub. Ich wollte ihn ohne jegliche Erkennungszeichen meiner Profession verbringen. Seelsorger brauchen zwischendurch eine Zeit für sich, ohne Schäfchen und ohne Beichte. In den letzten drei Wochen war mir das auch ganz gut gelungen.
Als ich in Immenstaad ankam an jenem nebligen Februartag, dämmerte es bereits, so daß ich einige Mühe hatte, in den gewundenen Sträßchen meine Unterkunft zu finden. Meine Wirtin gab mir den Hinweis, man könne im „Il Centro“ gut essen, und so begab ich mich unverzüglich dorthin, denn ich war einigermaßen hungrig nach der langen Reise.
Das Lokal war gut besucht. Mich empfing dennoch eine ruhige und behagliche Atmosphäre: Ein einziger geräumiger und vor allem sehr hoher Raum, wie man ihn so oft in Süditalien findet, um Kühle zu erzeugen. An einer Seite eine lange, halbrunde Fensterreihe mit Blick auf den viereckigen Platz, in Größe und Ausstattung einer Piazza nachempfunden. Die gesamte Stirnseite nahm in voller Höhe und Breite eine Fototapete ein, die ausgerechnet Verona zeigte, offenbar eine Fotomontage aus Arena und Julia-Balkon in schwarz-weiß und eine Rebe mit weinrotem Laub. Verona war die letzte Station meiner Reise durch die italienische Renaissance: Rom, Florenz, Venedig und zum Schluß eben Verona. Ein langgehegter Wunsch, der mir zu meinem fünfundzwanzigjährigen Dienstjubiläum erfüllt wurde, indem man mir ausreichend Zeit gab. Mein Blick schweifte zu einer blitzenden Bar mit Spiegeln und viel Chrom – ganz und gar italienisch! - und zu einem imposanten Pizza-Ofen, dahinter der kleine, wendige Bäcker, der wie in einem Tanz gekonnt den Teig zu einer hauchdünnen, elastischen Frisbee-Scheibe wirbelte. Obwohl fast jeder Tisch besetzt war, hörte man nur gedämpfte Stimmen.
Ein freundlicher Kellner bot mir den einzigen noch freien Tisch an, direkt an einem der Fenster gelegen, brachte die Speisekarte und zündete eine schlanke, rote Kerze an.
Ich entschied mich für Spaghetti Vongole zusammen mit einem trockenen sizilianischen Weißwein, gefolgt von einem Barolo zum Manzo Arrosto.
Als ich meine Bestellung aufgegeben hatte, fragte mich der Kellner höflich, ob sich noch ein Gast zu mir setzen könne.
Mir war das ganz recht, hatte ich doch während meiner Reise gelesen und geschwiegen. Alles in allem vielleicht höchstens ein paar Sätze gesagt, um die Busfahrkarte von Friedrichshafen nach Immenstaad zu lösen, meiner Wirtin im „Seeblick“ meine Ankunft mitzuteilen und schließlich mein Abendessen zu bestellen.
„Guten Abend“, der neue Gast bedankte sich förmlich für das bereitwillige Platzangebot und stellte sich vor: „Günter Siebert, hoffe sehr, ich störe Sie nicht!“
„Benedikt Bertoldt, ganz im Gegenteil. Ich saß ein paar Stunden im Zug, habe viel gelesen und wenig geredet, wie das so ist, wenn man alleine reist.“
„Darf ich fragen, woher Sie kommen?“ Mein Gegenüber hatte sicher nicht zuletzt am Tonfall den Bayern herausgehört.
„Ich lebe in München, komme aktuell aber direkt aus Verona. Hier und heute endet mein Urlaub, leider. Und ich kann mir keinen besseren Abschluß meiner italienischen Reise vorstellen als in einem italienischen Restaurant in angenehmer Gesellschaft.“
So unterhielten wir uns über dies und das – Wetter, Reisen, Großstädte im allgemeinen, italienische Baukunst und Bodenseeklima im besonderen. Mein Gegenüber war ein smarter Geschäftsmann um die fünfzig, redegewandt und charmant. Es war ebenso angenehm wie anregend, mit ihm zu plaudern. Unser Gespräch kam leichtfüßig daher wie eine Gavotte – um ein bißchen im Bild zu bleiben.
Draußen war es dunkel geworden, der Nebel wurde dichter und hatte die beleuchtete, quadratische Piazza in ein aprikosenfarbenes Licht getaucht. Wie aus dem Nichts erschien aus einer Ecke ein Huhn mit gelben Strümpfen und einem braunen Frack, eilte quer über den Platz und verschwand in einer kleinen Gasse. Auch meinte ich, auf seinem Kopf lange Federn entdeckt zu haben.
Mein etwas ratloses Gesicht nahm mein Gegenüber zum Anlaß, mir zu erklären, was es mit dieser seltsamen Verkleidung auf sich hatte : „Der gehört zu den Immenstaader Hennenschlittern, so heißt hier die örtliche Narrenzunft. Heute Abend ist die große Sitzung in der Linzgauhalle, eine von dreien, immer der Höhepunkt in unserer Faschingszeit.“
Als er meinen fragenden Blick sah, setzte er hinzu: „Ich kenne mich hier ein bißchen aus. Ich arbeite bei der „Global Inventions“ seit nunmehr etwas mehr als zwanzig Jahren.“ Dann erläuterte er mir die Herkunft des Zunftnamens „Hennenschlitter“: „ In früheren Zeiten, als es noch den „Zehnten“ gab, mußte jede Familie einmal im Jahr einen Teil ihrer Erträge abgeben, meistens zur Fasnetszeit: Schnaps, Speck, Eier, Federvieh. 1695 fror der Bodensee zu, und so bildete sich eine Legende: Alle Hühner seien auf der Fahrt mit einem Schlitten über den gefrorenen See hin nach Münsterlingen zum Grundherren „verreckt“, heißt es in der Chronik, daher der Name „Hennenschlitter“. Die gelben Strümpfe der Narrenzunft sollen an Hühnerbeine erinnern, eine Kopfbedeckung aus gelben, rotbraunen oder weißen Filzflecken ist einem Hahn mit langen Schwanzfedern nachempfunden. Noch heute werden zu den Faschingssitzungen lebendige Hühner mitgebracht.“
Meine Frage, ob man vielleicht noch Karten für eine dieser Veranstaltungen haben könnte, wurde mit mildem Kopfschütteln bedacht: „Leider nein, alles längst ausverkauft. Wer Karten haben möchte, muß früh aufstehen!“ Und er erläuterte mir das Ritual der Kartenvorverkaufs: Es dürfte sich etwa so abspielen, als wolle man Karten für eine Vorstellung mit Gidon Kremer und Daniil Trifonov in der Carnegie Hall kaufen.
Unsere Getränke wurden gebracht, zusammen mit den Vorspeisen, wir tranken uns zu und begannen zu essen. Meine Pasta Vongole mit milder Zitronen-Dill-Sauce war hervorragend und versöhnte mich augenblicklich mit meiner langen und langweiligen Zugfahrt. Ich war wieder in Italien und in der Renaissance, wo man Zeit für die schönen Dinge hatte. Risotto mit weißen Trüffeln war es bei meinem Gegenüber.
Ich bemerkte, die Geschichte der Immenstaader Narrenzunft sei sehr eindrucksvoll für so eine kleine Gemeinde.
„Ja, allerdings. Seit über 160 Jahren wird die Fasnet der Hennenschlitter urkundlich erwähnt!“
Natürlich fiel mir Psalm 53 ein. Der von den Toren, den Narren handelt, die Gott leugnen und damit jegliche Ordnung. Und dann die mittelalterlichen Darstellungen des Narren, des Antipoden, mit Schellenkappe, Spiegel und Narrenzepter. Wer weiß heute schon, wie der Narr in die Welt kam und welche eigentlich düsteren Wurzeln die „fünfte Jahreszeit“ hat? In der Tradition eine närrische Abkehr von der göttlichen – und weltlichen - Ordnung also. Darüber sprachen wir, und ich staunte, wie bewandert mein Gesprächspartner auch in diesem Thema war.
Schließlich bemerkte ich scherzhaft:
„Sehen wir das einmal praktisch: Mit dem Aschermittwoch, dem Bußgang, der aufrichtigen Reue, dem anschließenden Fasten bis zum erlösenden Osterfest können die Unordnung und können die Untugenden besiegt werden, Neid, Mißgunst, Intrige, Betrug, Verrat ..."
Unser Gespräch wurde für den zweiten Gang kurzfristig unterbrochen: Manzo Arrosto für mich, Osso Buco für meinen Gesprächspartner. Wir tranken uns zu mit einem übereinstimmenden Lob auf den so angenehmen Abend: Der Barolo war von einer wunderbaren, dunkelsamtigen Farbe und einem ebensolchen Geschmack.
Draußen war es dunkel geworden. Schneeflocken im Wind verwischten die Piazza mit den Aprikosenlaternen, den Bänken und bizarren kahlen Platanen zu einer gestrichelten Bleistiftskizze in Grau und Orange. Das Lokal hatte sich wie auf Kommando geleert: Die abendlichen Pizzagäste waren verschwunden, vielleicht zum Zunftabend gegangen, nun war es ruhig, nur wenige Tische waren besetzt, meist durch Paare. Erst jetzt fiel mir auf, wie wohltuend es war, nicht die in italienischen Restaurants sonst üblichen Verdi- oder Puccini-Arien zu hören ... Einmal nicht " Nessum dormo" zum hundertsten Male ...
Oft spürt man eher, daß sich etwas dreht oder wendet, etwas verändert, noch bevor man es in Worte fassen kann, also begriffen hat. Ganz so, als atmete man die Stimmungsschwankungen ein, als nähme die Befindlichkeit seines Gegenübers von einem fast unmerklich Besitz. Aber vielleicht geht es nur mir so, eine Nebenwirkung meines Berufes sozusagen.
"Ich möchte Ihnen etwas erzählen."
Vermutlich gibt es für alles eine Zeit. Auch für Aufrichtigkeit. Und so hörte ich zu.
„Stellen Sie sich zwei Freunde vor, Freunde seit der Schulzeit: Nach dem Abitur stürzten sie sich – jung, voller Ideen und begierig, Neues zu erfahren – auf ihr Studium: Ingenieurwesen, Fachrichtung Maschinenbau. Sie waren beide hervorragend in ihrem Metier, ihnen wurde eine glänzende Karriere vorausgesagt. Sie träumten nicht nur von technischen Neuerungen, die dereinst das Leben einfacher machen würden, sie arbeiteten gemeinsam an einer neuen Antriebsart für einen Motor: Weniger Treibstoff – weniger CO2 – etwas in der Art schwebte ihnen vor, und sie waren bis zum Ende ihres Studiums damit auch schon recht weit gekommen. Sie schlossen also die Jahre des Lernens mit „summa cum laude“ ab. Der Zufall wollte es nun, daß mit Abschluß ihrer letzten Prüfungen die hier ansässigen Motorenwerke eine hoch dotierte Stelle für den Leiter der Forschungsabteilung „Neue Antriebsformen“ ausschrieb: Für einen innovativen Forschungsgeist, bereit, ungewöhnliche Wege zu beschreiten und beharrlich zu arbeiten.
Noch konnte ich nicht sehen, wohin dies führen sollte und wo die Verbindung zu den Narren war. Aber ich war gespannt, wie eine solche Geschichte enden würde. Bisher handelte sie nur von zwei jungen Menschen mit den denkbar besten Voraussetzungen fürs Leben.
„Das dürfte keine leichte Entscheidung für den Vorstand gewesen sein, sich für einen von den beiden zu entscheiden. Wissen Sie, wie das ablief? Wer die Stelle bekam und warum?“
Wir waren mit dem Hauptgang längst fertig, die Teller wurden abgeräumt, und wir entschlossen uns für einen alten Grappa und einen Espresso. Mein Gegenüber fing erst wieder an zu sprechen, als beides vor uns stand. Vermutlich hatte er meine letzten Fragen gar nicht gehört. Er erzählte einfach weiter. Weit entfernt von diesem Abend und von mir.
„Es kam, wie es kommen mußte: Einer der beiden bekam den Job, er erwies sich als Hauptgewinn für die Firma, machte immer wieder mit bahnbrechenden Neuerungen von sich reden, stieg unaufhaltsam in der Firmenhierarchie auf.“
„Und der andere?“
„Blieb in der Universität , bekam eine C4-Professur, unterrichtete junge Menschen in Maschinenbau und hoffte darauf, daß einmal einer seiner Studenten von sich reden machen würde. So, wie er es einst auch für sich geplant hatte.“
Ich war etwas ratlos und bemerkte vorsichtig: „Es ist schön zu hören, daß zwei junge Menschen einen ordentlichen und erfolgreichen Weg gegangen sind. Einer davon vielleicht höher dotiert und mit mehr Anerkennung verbunden – aber: Was bedeuten in diesem Fall Einkommensunterschiede?
„Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Vor wenigen Tagen stellte das Unternehmen einen neuen, revolutionären Antriebsmotor vor, der unter der Leitung des einen Freundes entwickelt wurde.“
In Friedrichshafen hatte ich mir eine örtliche Zeitung gekauft. Ich erinnerte mich an ein Foto auf der ersten Seite, groß aufgemacht, strahlende Gesichter, festlich gekleidete Menschen. Das also war die Nachricht dazu.
„Und? Das ist doch fantastisch!“
„Diesem Antriebsmotor lag die Entwicklungsarbeit der beiden Freunde zugrunde – das, was sie in den langen Jahren ihres Studiums herausgefunden hatten, war die Grundlage des neuen Motors.“
„Das heißt also – der eine Freund - falls man da noch von Freund sprechen kann – hat die Ideen beider als seine verkauft?“
„Nicht nur das – er hat nur deshalb die Stelle bekommen.“
Vor meinem geistigen Auge liefen zwei Filme ab: Hier der erfolgreiche, gefeierte Star der Autobranche – dort der brave Beamte, der zum Narren gemacht wurde, jahrelang.
„Ich denke, daß Sie der Ehrlichere sind und sich nicht zu verstecken brauchen.“
Der andere sah mich lange an:
„Sie haben nicht verstanden. Ich bin der Verräter, ich bin Kain.“
G.S. 2015
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Zukunft - ohne Internet?
Für moderne Kommunikation ist heute das WorldWideWeb der Standard. Die Benutzung von Computer, Tablet, Handy ist Alltagsbeschäftigung, Alltagsbewältigung. Die Digitalisierung von Dienstleistungen und Produktionsprozessen, von Verwaltungshandeln und im Gesundheitswesen schreitet im Sturmschritt voran. Ihre Qualität bestimmt mit über Investitionsentscheidungen der Wirtschaft, über die Schließung von Standorten. Die digitale Gegenwart erfordert Aufmerksamkeit, Anpassung, ständiges Lernen.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Die WC-Spülung muß repariert werden. Ich entferne die Abdeckung, fotografiere mit dem Handy die innere Konstruktion und schicke das Foto per Mail an einen Handwerker. Wir einigen uns auf einen Termin, wieder digital. Die Spülung wird repariert, die Rechnung kommt, natürlich via Mail. Ich überweise digital. Ähnliche Vorgehensweisen zeigen sich beim Kauf in einem Internetshop oder bei der Terminbuchung in einer Autowerkstatt, sind tägliche Routine.
Zudem: Man muß kein Hellseher sein, wenn man davon ausgeht, daß zum Beispiel die Zahl der Zweigstellen von Banken und Sparkassen weiter stark abnehmen wird und alle Geld- und Wertpapiergeschäfte bald nur noch digital erledigt werden. Über das eigene Handy oder über den PC. So wie das heute schon Geschäftspraxis ist bei vielen Reiseanbietern wie TUI oder DERTOUR, Versanddienstleistern wie Quelle oder Amazon, der Telekom, bei Lieferdiensten wie dem Pizza-Service um die Ecke. Hierzu paßt eine Umfrage der Tageszeitung WELT/ Finanzen vom Dezember 2024: 48% der Befragten gaben an, Bekleidung und Schuhe online zu kaufen. 29% erwarben Lebensmittel und Bedarfsgüter ebenso per Internet wie etwa Bücher und Medien (27%) oder Möbel und Gartenartikel (23%).
Wobei - es ist noch nicht allzu lange her, da sah es überhaupt nicht nach dieser stürmischen Entwicklung aus. Kenneth Olsen, Gründer der Computerfirma Digital Equipment Corp. (Maynard, USA), stellte 1977 nüchtern fest. "Es gibt keinen Grund für eine Einzelperson, einen Computer zuhause zu haben“. Und Steve Jobs, der legendäre Chef von Apple, assistierte 1985: “Für einen Reporter, der unterwegs Notizen aufschreiben will, mag das interessant sein. Aber für den Durchschnittsnutzer sind diese Geräte unnütz, und es gibt auch kaum Software dafür.“
Knapp 40 Jahre später ist die Firma Apple weltweit die wertvollste Marke, die digitalen Riesen Microsoft, NVIDIA und Alphabet (Google) folgen auf den nächsten Plätzen. Das Wissen der Welt, liest man bei Google, verdoppelt sich etwa alle 13 Monate!!! Und der neueste Star der digitalen Welt, die künstliche Intelligenz, greift tief in das tägliche Leben, in Forschung und Produktion, ja eben auch zunehmend in den Alltag ein.
Es gilt also, vorbereitet zu sein, sich der digitalen Kommunikation zu stellen. Sich, wenn auch murrend und knurrend, mit diesen verflixten Handys und Computern zu arrangieren. Zumal jetzt jeder weiß, daß sich Bill Gates irrte, als er 1993 feststellte: "Das Internet ist nur ein Hype.“ Heute, knapp 30 Jahre später, sind es Cyberkriege, sind es international tätige Hackerbanden, die Billionenschäden anrichten, Wahlen beeinflussen, Regierungen stürzen, Großstädten für Stunden den Strom abstellen.
Somit dürfte feststehen: Ignorieren der Gegenwart hilft nichts! Zwar kann es momentan noch gutgehen mit der Feststellung:„Ich komme auch so klar.“ Nur koppelt man sich damit ab von den Möglichkeiten der digitalen Kommunikation, vereinsamt, schließt sich aus. Hat kein Internet, keine Mail-Adresse, keinen WhatsApp-Account. Die Zeit läuft davon! Und die Hoffnung darauf, daß sich „dieser ganze digitale Quatsch“ irgendwie totläuft, diese Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt sehr schnell.
Es ist immer wieder das gleiche Mißverständnis. So fuhr die erste deutsche Eisenbahn 1835 unter viel Hohn und Spott und beißender Kritik auf einer sechs Kilometer langen Strecke von Nürnberg nach Fürth. Wissenschaftler vieler Richtungen gaben vernichtende Urteile ab (s.o.). Aber - fünf Jahre später waren bereits 500 km Schienen verlegt, 1850 hatte sich die Streckenlänge mehr als verzehnfacht. Pferdedroschken samt Kutschern und Umspannstationen brauchte bald niemand mehr. Und aktuell sind es rund 40 000 km Schiene in Deutschland. Das Neue war schlicht nicht aufzuhalten. Der Markt (und damit seine Kundschaft) hatte gesprochen.
Heute, 2024, verhält es sich in unserer durch Informationstechnologie geprägten Zeit ganz ähnlich. Der Fortschritt rast, und wenn wir nicht an Bord gehen, verschwindet das Schiff bald vor unseren Augen irgendwo am Horizont.
Es gilt, Hilfe anzunehmen: bei Töchtern oder Enkeln, bei Freunden und Nachbarn, mit Kursen der Volkshochschulen oder im Internet. Die „Schaltzentrale“ Handy gehört zu unserem Leben. Die letzten Telefonzellen sind abgebaut.
Oder wie Bob Dylan es 1963 auf den Punkt brachte: „The Times They Are A-Changing.“ Nur - heute ist das Tempo höher!
R.S. ’24
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Bitte recht freundlich!*
Ein Lächeln, habe ich einmal gelesen, sei die schnellste Verbindung von Mensch zu Mensch. Was aber, wenn der Gegenüber keine Brücke bauen will?
So wie heute morgen, als ich mein Auto zwecks Inspektion in der Werkstatt abgeben wollte. Der Kunde vor mir, ein aufgeregter, elegant gekleideter, recht übergewichtiger Herr mittleren Alters, dachte überhaupt nicht daran zu lächeln. Unter ziemlichem Schnaufen schimpfte er über die Marke seines fahrbaren Untersatzes im allgemeinen und über die wahnwitzige Elektronik im besonderen. Unerklärliche Maßnahmen des Fahrassistenten würden ihm das Leben zur Hölle machen, die Sitze seien zu hart und der Kofferraum zu klein. Und im übrigen habe sich seine Frau beim Einsteigen bereits dreimal den Kopf gestoßen. Im Vergleich zum Vorgänger-Modell sei dies hier ein Witz, eine Fehlkonstruktion. All diese Ungeheuerlichkeiten spuckte er der immer noch freundlich lächelnden Mitarbeiterin in der Fahrzeug-Annahme, der Auszubildenden Lisa Müller im dritten Lehrjahr, quasi vor die Füße. Und er rang nach Worten, als nach den Fehlermeldungen für den Reparatur-Auftrag gefragt wurde. So genau könne man das jetzt auch nicht sagen. Aha!
Rückblickend wäre festzuhalten, daß sich so mancher Zeitgenosse das Leben selbst recht schwer macht. Und damit natürlich auch seinen Mitmenschen. Zum einen könnte man - ganz sachlich - die Frage zuerst einmal an sich selbst stellen, weshalb da etwas nicht funktioniert. Zum anderen wäre es im geschilderten Fall möglich zuzugeben, die Betriebsanleitung nicht richtig verstanden zu haben. Gleichviel: Dampf abzulassen, schlechte Laune zu verbreiten, hat der Sache nachweislich nicht geholfen und zur Aufklärung beigetragen.
Mein Fazit: Selbst für eine gute Atmosphäre zu sorgen. Ein freundliches Guten Morgen für den Busfahrer beim Einsteigen. Den Daumen hoch beim Paketboten, der heute wieder 180 Kunden anfährt. Ein anerkennendes Wort für die Bäckersfrau inmitten lästiger Wespen, die die Plunderstücke umschwirren. Oder ganz einfach - ein Lächeln eben.
p.s. Bitte recht freundlich nannte sich auch eine Fernsehshow (1956/ 57) mit Peter Frankenfeld
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Im Supermarkt (Lächeln, auch wenn’s weh tut!)
Autsch! Kannst du nicht aufpassen, du Lümmel!
Was erlauben Sie sich? Wie reden Sie mit meinem Sohn?
Na hören Sie mal! Er hat mir seinen kleinen Einkaufswagen in die Hacken geschoben. Das tut weh.
Noch lange kein Grund, meinen Sohn zu beschimpfen. - Kevin, kommst du mal bitte.
Oje, schaun Sie mal, das blutet sogar.
Nur ein Kratzer, halb so schlimm. Aber meinen Sohn zu diskriminieren, das geht gar nicht. Sie haben wohl was gegen Kinder? - Kevin, laß bitte die Eier liegen. Kevin, bitte nicht schon wieder!
Ich soll was gegen Kinder haben? Na hören Sie mal, ich habe selbst drei Jungen großgezogen.
Ach, wer weiß schon, mit welchem Ergebnis. - Kevin, stell bitte die Bierflasche zurück, Papa ist auf Entzug.
So können sie mit mir nicht reden. Ihr Sohn hat mich schließlich angefahren, und nicht ich ihn.
Das wäre ja noch schöner, meinen Kevin zu mißhandeln. So ein zartes Kerlchen mit einem riesen Wagen überfahren. Sie sind ja so was von aggressiv, und dazu noch gegen Kinder. - Kevin, kommst du mal bitte.
Aber davon kann doch gar keine Rede sein. Ich wollte doch nur zum Ausdruck bringen, …
Jetzt reicht es aber. Meinen kleinen Kevin mit ihrem großen vollen Einkaufswagen attackieren, das ist Körperverletzung pur. Das Kind kann sterben dabei. - Kevin, bleib weg von der Oma, die ist gefährlich.
Sie sind ja verrückt!
Das lass’ ich mir nicht bieten. Erst bedrohen Sie meinen Sohn, dann beleidigen Sie mich aufs Schlimmste. - Kevin, bitte nicht den Zucker auskippen. Das müssen die Männer alles wieder auffegen.
Oh, das ist mir nur so rausgerutscht. Ich wollte Sie nicht beleidigen.
Haben Sie aber. Seien Sie froh, daß ich Sie nicht anzeige. Und jetzt reicht’s. Ich habe zu tun. - Kevin, kommst du mal bitte. NEIN, Kevin, NEIN! Nicht die unterste Dose!
R.S. '21
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Oh - NOOOO!
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Zu Tisch
Gemeinsame Restaurantbesuche machen viel Freude. Sei es mit der Familie samt Tantchen Frida und dem trinkfesten Opa, mit der unternehmungslustigen Hausgemeinschaft, mit dem heldenhaften, unvergleichlichen Fußballverein. Gern auch in beruflichen Zusammenhängen. Oder zum Feiern eines runden Geburtstags, eines Nichtabstiegs aus der untersten Liga. Oder weil die Küche einmal kalt bleiben soll. Anlässe gibt es wahrlich genug.
Da wird mal ein neuer Koch getestet, eine vielversprechende Wiedereröffnung begossen, eine Entdeckungsreise durch obskure Speisekarten fremder Länder gestartet. Freundschaften werden gepflegt, Beziehungen bei einem guten Glas Wein wieder eingerenkt, Mietverträge unterschrieben. Oder man quatscht einfach nur oder spielt Skat. Na ja - Sie kennen das alles.
Umso bestürzender, was in jüngerer Zeit immer wieder beobachtet werden kann. Da versammeln sich Menschengruppen an Tischen, die sich nicht einmal zu kennen scheinen. Geschweige etwas miteinander zu tun haben. Oberflächlich geben sie den Anschein einer Familie: der Mann wie die Frau in ähnlichem, graugrünen, etwas verwegenen Outdoor-Look. Zwei Kinder, vielleicht sieben und neun, weiblichen Geschlechts, sofern man das heute dem Augenschein nach so einfach zuteilen darf, bunt gekleidet. Jeweils vertieft in ein Handy. Die Erwachsenen dito. Vier Personen, vier Handys - und ein Kellner, der versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, indem er die Speisekarten auf dem Tisch ein wenig hin- und herschiebt.
Der Mann hat Glück. „Viermal Cola, viermal Pizza (Margherita, Capriciosa usw.)“. Der dienstbare Geist verschwindet mit der Bestellung, die Personen eins bis vier starren wieder auf ihre Handys. Das ältere Kind schnauft ärgerlich. Sie schimpft so etwas wie „Blödmann“, ihr Daumen fliegt nur so über das jede Realkommunikation blockierende Gerät. Die übrigen drei heben nicht einmal den Kopf. Jeder ist beschäftigt. Die Getränke kommen, kurz danach die Pizzen. Wer jetzt erwartet hätte, daß die vier Online-Sitzungen beendet werden, sieht sich getäuscht.
Die erwachsene, männlich erscheinende Person leidet, mit dem Smartphone nun am Ohr, unter Mitteilungszwang. Selbst Gäste fünf Tische entfernt verstehen, daß da einem Elektriker aufs Gröbste der Kopf gewaschen wird. Der Lautsprecher wird zum Multi-Tasker und schiebt mit der Linken ein Stück vorgeschnittene Pizza in den Mund. Doch viel Zeit bleibt dem gescholtenen Handwerker nicht zu widersprechen. Die nächste Schimpfkanonade donnert durch den Raum. Der erboste Kunde hat das Stück Margherita runtergewürgt und läßt mal so richtig Dampf ab.
Der Rest des Tisches schaut nicht einmal hoch oder ist interessiert an dem Wüterich. Ein Kind schaut wie die zweite erwachsene Person jetzt ein Video, das andere handhabt Messer und Gabel so geschickt, daß es mit dem kleinen Finger der rechten Hand weiter scrollen kann. Offensichtlich verteilt es Likes.
Die Nahrungsaufnahme der vier ist beendet. Der Kellner wird mit einer flapsigen Bemerkung bedacht, weil das Bezahlen mit Smartphone in dieser kleinen Pizzeria noch nicht möglich ist. Die vier Kommunikationstalente verlassen mit Blick auf vier Displays den Raum.
Loriot würde sagen: „Schön, daß wir uns mal wieder so richtig gut unterhalten konnten.“
R.S. '24
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Beim Berliner Sechstagerennen
Ist Ihnen der Wiener Prater ein Begriff, dieses beliebte, viel besungene und traditionsreiche Ausflugs- und Erholungsgebiet im zweiten Wiener Gemeindebezirk Leopoldstadt? Wahrscheinlich werden Sie Sich jetzt fragen, was das mit unserem Thema zu tun hat, dem Berliner Sechstagerennen. Nun, es gibt tatsächlich Gemeinsamkeiten, die nicht unbedingt sofort ins Auge fallen und die ich später aufklären werde. Aber als zehnjähriger Pimpf, der ich damals war, hatte ich von alldem nicht den blassesten Schimmer.
Also auf zum Sechstagerennen! An der Hand meines Vaters ging es Mitte der fünfziger Jahre eines Samstags erst mit dem Bus, dann mit der S-Bahn, und ein Stück weit zu Fuß zur Potsdamer Straße, zum Sportpalast. Dieser war in den fünfziger Jahren nach starken Kriegsschäden wieder aufgebaut worden und Veranstaltungsort des beliebten Berliner Sechstagerennens, das seit 1909 in unserer Stadt ausgetragen wurde. Wobei - das erste Sixdays fand 1896 im New Yorker Madison Square Garden statt. Aber das nur nebenbei. Jedenfalls waren für uns Kinder Sportveranstaltungen dieser Art eine Sensation. Das Radio berichtete schon Wochen vorher, Erzählungen unserer Eltern erhöhten die Spannung, praktisch jeder kannte das Sechstagerennen. Die Sportler der verschiedensten Nationen wurden schon lange vorher in den Tageszeitungen vorgestellt. Die Vorfreude war enorm, die Spannung bei uns zu Hause stieg von Tag zu Tag.
Und so saß ich mit meinem Vater eines späten Nachmittags in dieser denkwürdigen, gleichwohl berüchtigten Berliner Arena auf dem „Heuboden“, den billigen Plätzen unter dem Dach. Hier gab es keine Platzkarten, hier saß man dicht bei dicht. Ich erinnere mich an etwas erhöhte Holzstufen, die recht bequem waren und einen guten Blick auf das grell bestrahlte Oval boten, auf dem die Rennfahrer ihre Bahnen zogen. Runde für Runde, unermüdlich, sechs Tage und sechs Nächte, 144 endlose Stunden. Ein Team bestand aus zwei Fahrern, wobei immer einer im Sattel seiner Rennmaschine sein mußte. Natürlich kannte ich schon einige, dem Namen nach. Vater hatte mir erzählt vom Publikumsliebling Klaus Bugdahl und Rick van Steenbergen, dem fliegenden Holländer. Von dem unbesiegbaren Schweizer Gespann Jean Roth und Walter Bucher, von dem Dänen Palle Lykke, einem unglaublichen Sprinter und natürlich von Otto Ziege, dem Berliner Idol und langjährigen Organisator dieser Veranstaltung. Ich erfuhr von zähen Kämpfen und vom stillen Leiden der Fahrer und ihrer verbissenen Jagd auf den Rundenvorsprung, den Tagessieg, die Gesamtführung.
Es gab Verfolgungsrennen, die mit Glockenschlag und Lautsprecher angekündigt wurden und bei denen sich die ablösenden Fahrer mit Schleudergriff ins rasende Feld hineinkatapultierten. Oft ging es um Punkte, manchmal aber auch um Preise von Prominenten wie Pelzmänteln, Uhren oder Urlaubsreisen, die ausgelobt wurden. Die Luft war zum Schneiden dick, ein Gemisch aus dichtem Tabaksqualm und herrlichem Bratwurstduft hing unter der Decke des Sportpalastes. Im Innenraum, rund um die Bahn, waren die engen, offenen Fahrerkojen verteilt. Hier hüteten die Betreuer Räder und Ersatzteile, reparierten, was kaputtging, massierte die pausierenden Sprinter auf einer schmalen Liege. Ein winziges Refugium, teils öffentlich einsehbar, für ganze sechs Tage und Nächte. Im Zentrum, um das sich alles drehte, in der Mitte des riesigen Saales, tobte das Leben. Wurststände, lange Theken für Bier und Limo, die Zuschauer wollten versorgt sein. Unterirdisch gelangte man in diesen Bereich.
An einiges kann ich mich noch recht gut erinnern. Zum Beispiel an den älteren Herrn neben uns, dessen Gehhilfe zu seinem Spitznamen Krücke wurde. Dies Berliner Original hieß mit bürgerlichem Namen Franz Habisch, war in den zwanziger Jahren selbst Rennfahrer, verlor aber bei einem Unfall ein Bein. Jetzt saß er neben uns auf dem preiswerten Heuboden, seine Krücke neben sich, und schob, wenn das kleine, aber unglaublich laute Orchester mit einer bestimmten Melodie wieder loslegte, zwei Finger in den Mund und stieß vier schrille Pfiffe aus. Dies zu einer Musik, die er erst mit seiner ganz speziellen Begleitung zum Ohrwurm machte und der er durch all die Umstände einen unverwechselbaren Namen gab: nämlich den Berliner Sportpalastwalzer. Kreiert von Krücke, wie ihn die Berliner liebevoll nannten und der, wußte mein Vater, noch kein Sechstagerennen ausgelassen hatte. Sein Platz war der Heuboden. Und alle pfiffen bei den entsprechenden vier Takten mit. Die eingängige Erkennungsmelodie einer sechstägigen Veranstaltung samt Staccato-Pfeifkonzert war geboren.
Ein weiterer Höhepunkt waren die knatternden Steherrennen, ein mehrmals täglich stattfindender Wettstreit um Punkte und Preise. Hier standen die Fahrer, starr wie die Zinnsoldaten, mit Schutzhelm, Lederjacke und Schutzbrille auf ihren speziell hergerichteten Motorrädern, im Windschatten den mit Höchsttempo sprintenden Fahrer, und jagten sich gegenseitig mit dröhnenden Motoren um das kleine Oval. Richtig schräg lagen die Teams in den Kurven. Die mit Vollgas fahrenden, qualmenden Eintakter, die Anfeuerungsrufe des begeisterten Publikums - ein wahrer Höllenlärm begleitete die ganze Vorführung, die jeweils etwa 15 Minuten dauerte. Wer sich unbedingt etwas sagen mußte, schrie sich an, falls das überhaupt ging. Denn da war ja noch der höchst aufgeregte Sprecher, der brüllend per Lautsprecher jeden Rundengewinn, jeden neuen Punktestand der Zweierteams kommentierte.
Natürlich gab es auch Ruhephasen, wo die Fahrer der Teams sich bei langsamen Runden um die Bahn miteinander unterhielten, ausruhten, locker dahintrudelten. Keiner war auf Rundenjagd. Oder doch? Gerade Mannschaften, die weit zurück lagen, warteten auf diesen Moment. Urplötzlich traten sie in die Pedale, machten eine Runde gut. Und der Sportpalast stand wieder kopf. Eine neue Hatz war eröffnet.
So war das nach meinen Erinnerungen in den fünfziger Jahren Jahren beim Berliner Sechstagerennen. Ein Erlebnis, das mir immer in Erinnerung bleiben wird. Und der eingangs erwähnte Zusammenhang zwischen Potsdamer Straße und Wiener Prater ist schnell erklärt: Der Sportpalastwalzer heißt in Wirklichkeit Wiener Praterleben und wurde vom deutschen Kapellmeister Siegfried Translateur im Jahr 1892 komponiert.
R.S. '24
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